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29.6.2020

Claudia Walser: Chefin und Mutter

Familie und Beruf zu vereinbaren, ist für viele Eltern ein echter Kraftakt. Bei Claudia Walser ist es sogar ein Spagat zwischen zwei Familien: der geschäftlichen und der privaten.
Claudia, du bringst seit ungefähr 26 Jahren den Aufbau der eigenen Firma, die Kindererziehung und vieles mehr unter einen Hut. Du hast sozusagen langjährige Home Office Erfahrung?

Wenn ich zurückschaue, dann koordinierte ich die Kindererziehung und den Firmenaufbau tatsächlich mehrheitlich aus dem Home Office. Ganz zu Beginn war weder die Digitalisierung noch die Kinderbetreuung so fortgeschritten, daher unterstützten mich meine Eltern. Das war eine harte Anfangszeit – oder «Cervelat-Haut-Zeit», wie ich sie gerne nenne – mit tausend Ideen, aber kein Geld. Die vergesse ich nie und sie schwingt auch heute noch mit. Sie lehrte mich, demütig zu sein. In rund 25 Jahren sind wir von ein paar wenigen auf nun mittlerweile 60 Mitarbeitende gewachsen, das war echt nicht ohne. Dass wir mit Schreiner48 so erfolgreich wurden und sind, benötigte viel Schweiss, Fleiss und eben auch das oft genannte Quäntchen Glück.

Wo lagen deine Verantwortlichkeiten im Betrieb? 

Ich kümmerte mich hauptsächlich um den Aufbau von sämtlichen Unternehmensprozessen sowie die Programmierung unserer internen Plattform. Diese Arbeiten habe ich während fünf Tagen im Home Office und an jeweils zwei Tagen im Büro in Schlieren durchgebracht. 

Wo siehst du Vorteile, dass du den Grossteil der Arbeit von zu Hause erledigen konntest?

Durch das Home Office merkten unsere beiden Kinder eigentlich fast nicht, wie viel ich arbeitete. Ich war zwar am Computer, oftmals auch nachts, aber ich war da. Natürlich war meine Zeit nicht endlos: Spielplatz-Aufenthalte oder Schwimmen im Freibad kamen eher selten vor. Unsere beiden Kinder wurden dabei aber äusserst kreativ und zeigten sich neugierig, selbstständig und kompromissbereit. Lesen und mit sich selbst beschäftigen lernten sie beide extrem früh. 

Dass sie sich ausserdem zu ausgezeichnete Köchen entwickelt haben, freut mich sehr. Trotz meines Arbeitspensums legte ich immer grossen Wert auf selbst zubereitete Mahlzeiten: Meist kochte auf dem Herd ein Sugo oder es duftete nach selbstgemachtem Brot. Indem ich Prioritäten setzte und mir Multitasking nicht schwer fällt, war dies möglich. Natürlich brauchte ich auch hin und wieder eine Pause, musste meinen Kopf von der Programmier-Arbeit durchlüften. Da half mir spontanes Jäten im Treibhaus sehr. 

Bei diesem Arbeitspensum und deinem Tatendrang kann ich mir vorstellen, dass Organisation und Disziplin das A und O sind?

Home Office braucht Biss und Struktur: Ohne meine Pendenzenliste wäre ich aufgeschmissen. Damit ich alles, was ich machen will, angehen kann, stehe ich zwischen 5 und 6 Uhr auf, geniesse eine Stunde Yoga für mich, bevor ich Tagesziele plane oder unseren Hund spazieren führe. 

Zu Hause habe ich meine Ruhe und kann produktiv und effizient arbeiten. Meine Hauptaufgabe liegt ja darin, neue Ideen für die einfachere administrative Abwicklung zu entwickeln. Mit einem überschaubaren Team rund 28’000 Aufträge im Jahr abzuwickeln, ist nicht ohne – da muss man sich immer weiterentwickeln. Aber dieses Optimieren von Prozessstrukturen fasziniert mich. Beispielsweise sind unsere Schreiner, die Werkstatt und die Bodenleger jetzt digital mit iPads unterwegs. Der Meilenstein «papierloses Arbeiten» hat mich gefordert, aber ich bin beinahe am Ziel. Nur das Bodenteam arbeitet noch vereinzelt mit Papier. All diese Optimierungen, die sich tiefgreifend auf den Schreineralltag, auswirken, lassen sich ohne Hektik im Home Office einfach besser durchdenken. Aber auch meine anderen Tätigkeiten wie das ganze Lohnwesen, die Finanzen und alles weitere lassen sich so gut erledigen.  

Du hast neben deinen eigenen Kindern auch noch die berufliche Familie, die deine Aufmerksamkeit benötigt – steckt man da persönlich etwas zurück?

Da ich noch einer älteren Generation angehöre, lag die Rollenverteilung auf der Hand. Ich muss aber gestehen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass «Frau» parallel so viel stemmen kann. Logischerweise kam ich dabei auch an meine Grenzen. Ich steckte meine persönlichen Bedürfnisse ohne Probleme zurück, damit die Firma und die Kinder sich entwickeln konnten, habe das aber nie als Verzicht empfunden. Markus und ich ziehen ja am gleichen Strick und setzen die Stärken und Schwächen von uns beiden geschickt ein. Diese Kombination hat einen grossen Teil zum Erfolg beigetragen. Nun stecke ich in einer Zwischenphase und freue mich wenn ich mehr Luft bekomme mich wieder künstlerischen Interessen und kreativen Tätigkeiten widmen kann.

Was wünscht du dir für die nächste Frauengeneration?

Die Arbeitsleistung der Frauen ist oftmals nicht so präsent – sie arbeiten zu Hause, sprich im Hintergrund, damit im Vordergrund alles rund läuft. Oftmals ist man dabei alleine und auf sich gestellt. Bewusst suche ich weder das Rampenlicht noch die grosse Anerkennung. Allerdings musste ich bei Aussagen wie: «Du machst deinem Mann das Büro oder du tippst die Rechnungen?», oft die Zähne zusammenbeissen und tief durchatmen. 

Es freut mich aber extrem, dass sich das veraltete Frauenbild nach und nach auflöst. Unsere Tochter setzt sich stark in den Bereichen Gerechtigkeit, Frauen und Klima ein. Ihr Engagement macht mich sehr stolz. Es zeigt, dass die jüngere Generation sich nicht nur Gedanken macht, sondern sich aktiv weiterentwickelt. Und es heisst auch, dass sie in Lebensfragen andere Antworten auf allgemeingültige Lebensfragen finden.

Was ist deine nächste persönliche Herausforderung?

Die nächste Herausforderung ist, nach und nach loszulassen, abzugeben und so zu organisieren, dass es ohne mein Einwirken weiterläuft. Ich weiss, das wird nicht einfach sein. Vieles ist schon fix in meinem Alltag verankert, aber ich freue mich natürlich wie immer auf neue Herausforderungen und darauf, nicht konstant im Stress zu sein. Etwas mehr Musse und Gelassenheit schaden mir nicht.

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